Tanzende Gesten (NZZ 2008)

DANCER´S DIGEST Tanztheater von Angelika Ächter, Cristina Ohlmer zeichnet sich für Bühne und Licht aus und agiert direkt on stage mit Projektion, Licht und Schatten

Leben ist Bewegung, Bewegung ist Ausdruck, Expressivität ist Kunst. Doch wo liegen die Grenzen zwischen Bewegung und Tanz? Wenn beispielsweise eine Mutter auf Zehenspitzen das Kinderzimmer verlässt, bewegt sie sich oder tanzt sie?Angelika Ächter untersucht in ihrer Performance «Dancers Digest» ebendiese Grenzen zwischen Bewegung und Tanz, die letztlich ineinander zu verschmelzen scheinen. Aus alltäglichen Bewegungsabläufen wird allmählich Tanz, aus wildem Tanz wird plötzlich eine wohlbekannte Geste. Man zupft sich ein Kleid zurecht, schnippt da ein Härchen weg und glättet hier eine Falte aus, schon hat man einen Tanz. Wenn man diese Bewegungsabläufe wiederholt, beschleunigt und von einer Gruppe synchron ausführen lässt, werden sie zu einer Choreografie. Oder man stelle sich einen jungen Mann vor, der in Zeitlupentempo die Hände in die Hüfte stemmt, die Lenden vorschiebt und sie leicht kreisen lässt. Mit der richtigen Intensität vorgeführt, wird auch diese Geste zu Tanz. «Dancers Digest» scheint Bewegungen zu «verdauen», sie umzuwandeln und zu Neuem zusammenfügen zu wollen. Die Gebärden werden als Fragment aus ihrem Bedeutungszusammenhang herausgenommen, umcodiert und in neue Zusammenhänge gestellt. Sechs Performer und Performerinnen, von unterschiedlichen Stilrichtungen kommend, stellen zu Beginn des Abends ihr jeweils individuelles Bewegungs-, Stimm- oder Klangrepertoire vor, das während der folgenden Stunde durch verschiedene «Verdauungsprozesse» verzerrt und neu kontextualisiert wird. Das ergibt manches Mal witzige, auch spannende Momente, über eine ganze Stunde hinweg wird es jedoch irgendwann langweilig. Den Höhepunkt der Performance verdankt man dem Countertenor Philipp Caspari, der denn auch als die eigentliche Entdeckung des Abends bezeichnet werden darf. Sein innig und mit berückend schöner Stimme vorgetragenes Gebet «Maria hilf!» berührt tief. Der Tänzer Marco Volta zeichnet sich durch seine Präzision und sein bühnenwirksames Charisma aus. Bemerkenswert auch, welch seltsame Laute Anne Rosset mit ihrer Stimme hervorbringen kann. Weiter zum Ensemble gehören der Saxofonist Robert Bernhard sowie die Tänzerinnen Nadine Schwarz und Brigitte Jagg. Wichtiger Bestandteil der Performance ist das Licht, das die bildende Künstlerin Cristina Ohlmer sehr schön in Szene zu setzen weiss.

(Sabine Schulthess,NEUE ZÜRICHER ZEITUNG, 01.12.2008)

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