Der gläserne Blick (2023)
Ausstellungskatalog Museum Villa Rot, Cristina Ohlmer Auszug Seite 95 -100, Text: Dr. Sabine Heilig
Cristina Ohlmer malt und zeichnet, arbeitet objekthaft, richtet Rauminstallationen ein, macht Filme und Performances, schreibt Texte. Und zugleich arbeitet sie seit etwa 25 Jahren kontinuierlich mit dem Material Glas, zumeist in Verbindung mit den genannten Medien. „Glas und Glaszeichenräume waren um 2000 Schwerpunkt meiner künstlerischen Arbeit. Reisestipendien forderten mich zu anderen einfachen Mitteln für Zeichnung und Zeichenräume. Bis heute nehme ich mir von Zeit zu Zeit vor, neue Glasarbeiten zu entwickeln, die inhaltlich und formal meine Recherche um die Wesenhaftigkeit von Licht, Zeichnung und Raum erforschen“, so die Künstlerin.
Diese Absicht lässt sich in ihrem aktuellen Film „Opacity (Lines Beyond)“ (2022) ablesen, der im Museum Villa Rot Premiere feiert. Die Videoperformance, in der die Künstlerin ganz in Schwarz gekleidet und in einem völlig abgedunkelten Raum vor einem großen niedrigen Glastisch sitzt, ist eine Hommage an dieses besondere Material. Die Tischfläche dient ihr einerseits als Projektionsfläche von Bildern, die sich ohne ihr Zutun jedoch durch die Transparenz des Materials auflösen würden. Um die Lichtbilder sichtbar zu machen, nutzt die Künstlerin zunächst ihre behandschuhten Hände, dann eine weiße Fläche, die sie unter die Glasplatte hält und mit fließenden Bewegungen hin- und herschiebt. Dabei verflüchtigen sich Formen und Farben wieder, verschwindet ein Teil des Bildes in der Dunkelheit, um sich im nächsten Moment durch ein kurzes Innehalten an anderer Stelle wieder zu materialisieren. Ohlmer agiert wie eine Dirigentin, die mit ihrem Taktstock nicht nur den Rhythmus eines Stücks angibt, sondern damit auch die Lautstärke der Musik beeinflusst, die hier übrigens wie ein Klangteppich die optischen, sich in sanften Bewegungen verändernden Bilder begleitet (Stefan Reisinger). Ergänzt werden sie durch kurze gesprochene Textpassagen, die sich wie die Bilder verdichten und wieder auflösen. Die Künstlerin nimmt darin Bezug auf die Motivik der Lichtbilder, formuliert, was sie gerade sieht. Als Vorlagen dafür dienten ihr Hinterglasmalereien, die an anderer Stelle in der Ausstellung im Original zu sehen sind:
„ Atem / im Glas / vor dem Glas / dazwischen / verspielt / spiegelt es uns an/ licht mit wesenhaften Zügen / ich sehe etwas / Augen, die mich anschauen / ein taumelndes Blatt / einen Unfall / eine Frau am Telefon / ein fremdes Wesen / müde Männer / ein Gerüst / eine Bretterbude am Strand / ROT /…“
Im weiteren Verlauf der Performance beginnt Ohlmer die transparente Glasscheibe mit Wasser zu bemalen, schüttet schwarze Tusche dazu, verstreicht die Flüssigkeiten mit dem Pinsel und einer Rakel, entfernt das Entstandene wieder zu den Seiten, um von Neuem zu beginnen. Die Be- trachtenden beobachten dieses Geschehen, bei der die Akteurin und ihr bildnerisches Tun ab- wechselnd verschleiert, dann wieder sichtbar werden lässt; sie werden hineingezogen in ein Wechselspiel von Licht und tiefer Dunkelheit.
Die genannten Hinterglasmalereien der Serie „Opacity 1, 2, 3, 7“ (2022) sind im Unterschied zu den transparenten Lichtbildern undurchlässig und vielschichtig. Die Formen konzentrieren sich überwiegend in einem ovalen Bereich, in dem sich ein regelrechtes Gewimmel an filigranen Strukturen und Farben befindet, die sich durchdringen und miteinander vernetzen. Die Malereien liegen derart dicht übereinander, dass der Untergrund, das klare Glas, nicht mehr erkennbar ist. Die angrenzenden, frei belassenen Glasflächen stehen transparent und immateriell dagegen. Drei der gezeigten Bildträger dieser Serie wurden zudem unterteilt, also teilweise unbearbeitet durchscheinend gelassen und nur im oberen Bereich zusätzlich weiß bemalt. Trotz der leicht gestauchten Motivfläche ist man an die Form der Erdkugel erinnert, auf der sich das Leben mannigfaltig ausgebreitet hat. So begegnen sich im malerischen Durcheinander Figürliches und Abstraktes, Gegenständliches wie auch die reine Farbe. Ohlmer hat hier mit unterschiedlichen Farbmaterialien gearbeitet wie glänzendem Nagellack, der trotz der Hinterglastechnik leicht räumlich hervortritt.
In einer anderen Arbeit hat die Künstlerin mehrere Glasscheiben zu einer Wandinstallation zusammen gefügt, sich also wieder das additive Verfahren bei der künstlerischen Verwendung von transparentem Glas zunutze gemacht. Es handelt sich um neun Hinterglasmalereien aus der Serie „Small Singles — Partituren“, die sich auf unterschiedlich großen durchsichtigen Industrieglas befinden und von alten Wechselrahmen aus Pflege- und Altersheimen stammen. Die erzählerischen Bilder addieren sich durch das Hinter- und Nebeneinander wie Kulissen auf einer Bühne. Dabei fließen Zeichnungen mit figürlichen Motiven und malerisch umgesetzte Farbflächen ineinander. Die Betrachterin und der Betrachter nehmen die verschiedenen Raumebenen wahr, ergänzen jedoch vor dem Objekt die einzelnen Schichten zu einer Einheit. Von den ursprünglich vorhandenen privaten Bildern erfahren sie nichts mehr. Doch diese Scheiben haben zuvor „andere Bilder“ gesehen.
Zusätzlich kombiniert die Künstlerin die Installation mit geschmolzenen, regelrecht gläsern wirkenden Teilen von PET Flaschen („Pet Jewels“, ab 2017). Diese, ebenfalls Fundstücke, erinnern auch an die Flüchtigkeit von Licht und die Vergänglichkeit jeglicher Materie. Durch die bewusste Wiederverwendung scheinbar wertlos gewordener Materialien in ihrer Kunst weist Cristina Ohlmer auf die Problematik eines unbegrenzten Konsumverhaltens hin und macht auf die Wertigkeit dieser Dinge aufmerksam.
In der Serie „Rainforest“ (2015) wird das Material Glas auf eine andere Art und Weise als Bildträger verwendet. Sie bedient sich dort der sogenannten Schwarzlotzeichnung, die einst wesentlicher Bestandteil des Glaskunsthandwerks war. Die Basis der Schwarzlotzeichnung ist ein bleihaltiges Pulver, das zusammen mit Gummi arabicum zerrieben und mit Terpentinöl vermischt wird. Die damit aufgebrachte Zeichnung wird anschließend in das Glas eingebrannt. Der Begriff „Kristalleis Zeichnung“ für die 2. – darüber liegende – Scheibe einer Glasgestaltung resultiert aus der Wirkung der unregelmäßig strukturierten, kristallin gebrochenen Oberflächen. Ein Anliegen der Künstlerin war es, das Erlebnis des nebelverhangenen, feuchten Regenwaldes in Taiwan künstlerisch zu übersetzen, es sinnlich erfahrbar zu machen. Die Wirkung dieser Glasobjekte ist atmosphärisch und erinnert an fließendes Wasser. Im unteren Teil der Glaszeichnung entstand eine Art „Lupeneffekt, so wie man es bei Wassertropfen auf Blattwerk beobachten kann.“
Catalogue THE GLASSY LOOK (2023); Excerpt page 95-100, text: Dr. Sabine Heilig
Cristina Ohlmer paints and draws, works with objects, sets up spatial installations, makes films and performances, writes texts. And at the same time, she has been working continuously with the material glass for about 25 years, mostly in connection with the mentioned media. „Glass and glass drawing spaces were the focus of my artistic work around 2000. Travel grants challenged me to other simple means of drawing and drawing spaces. Up to this day, I develop new glass works that explore, in terms of content and form, my research around the essence of light, drawing and space,“ she says.
This intention can be seen in her current film „Opacity (Lines Beyond)“ (2022), which is premiering at the Museum Villa Rot. The video performance, in which the artist dresses entirely in black and sits in a completely darkened room in front of a large, low glass table, is a homage to this special material. On the one hand, the table surface serves her as a projection surface for images, which, however, would dissolve without her intervention due to the transparency of the material. To make the light images visible, the artist first uses her gloved hands, then a white panel surface, which she holds under the glass plate and moves back and forth with flowing movements. In the process, shapes and colors dissolve, part of the image disappears into the darkness. Ohlmer acts like a conductor who not only sets the rhythm of a piece with her stick, but also influences the volume of the music, which here, by the way, accompanies the visual images that change in gentle movements in soundscapes (Stefan Reisinger).
They are complemented by short spoken text passages that, like the images, condense and dissolve. Here, the artist refers to the motifs of the light pictures, what she sees. The model images are of paintings beyond glass. The originals can be seen elsewhere in the exhibition:
„Breath / in the glass / in front of the glass / in between / joyful / it reflects us on / light with essential meaning / I see something / eyes looking at me / a shifting leaf / an accident / a woman on the phone / a strange being / tired men / a scaffolding / a hut on the beach / RED /…“ As the performance progresses, Ohlmer begins to paint the transparent glass pane with water, adds black ink, spreads the liquids with a brush and a squeegee, removes what has been created to the sides again, in order to begin anew. The viewers observe this event, in which the artist and her artistic activity are alternately veiled and become visible again; they are drawn into an interaction of light and deep darkness.
The mentioned paintings beyond glass of the series „Opacity 1, 2, 3, 7“ (2022) are, in contrast to the transparent light performance, impermeable and multi-layered. The forms are predominantly concentrated in an oval area containing a veritable teeming mass of filigree structures and colors that interact and link. The paintings are so densely stacked that the background, the clear glass, is no longer visible. The surrounding surfaces, which have been left free, are transparent and immaterial in contrast. Three of the picture supports shown in this series have also been subdivided, i.e. left partially translucent and only painted white in the upper area. Despite the slightly compressed motif, it reminds of the shape of the globe, on which life has spread in manifold ways. Thus, the figurative and the abstract, representation and pure color meet in painterly confusion. Ohlmer has worked here with different color materials such as shiny nail varnish, which, despite the beyond glass painting technique, emerges slightly spatially… In addition, the artist combines the installation with melted PET bottle objects, garbage found on the sea sides („Pet Jewels“, from 2017). They appear to be made of glass. These re”valued” objects, also remind us of the fleeting nature of light and the transience of all matter. Through the conscious reuse of seemingly worthless materials in her art, Cristina Ohlmer points to the problem of unlimited consumerism and draws attention to values of material and sustainability.
In the series „Rainforest“ (2015), the material glass is used as an image carrier in a different way. There, she makes use of the so-called black lead drawing, which was once an essential part of the glass craft. The basis of black solder drawing is a powder containing lead, which is ground together with gum arabic and mixed with turpentine oil. The drawing applied with it is then fired into the glass. The term „crystal ice drawing“ for the 2nd – overlying – pane of a glass design results from the effect of the irregularly crystalline flowing down surfaces. One of the artist’s concerns was to translate the experience of the misty, damp rainforest in Taiwan, to make it sensually tangible. The effect of these glass objects is atmospheric and reminiscent of flowing water. In the lower part of the glass drawing, a kind of „magnifying glass effect was created, as can be observed with water drops on foliage.“
Cristina Ohlmer, zur Videoperformance „Opacity (Lines Beyond)“
„Ich erinnere mich: Unser Geschichtslehrer sagte, die Ureinwohner von Mexiko seien unbedarft. Fremde Kolonialherrschaften waren in Segelschiffen über das Meer zu ihnen gekommen. Sie hätten sie wie Götter empfangen und sie hätten ihr Gold gegen bunte venezianische Glasperlen eingetauscht. Welche Dummheit, so, ohne Gespür für den Wert der Dinge, zum Bei- spiel diese Naturvölker. Seine überheblichen Worte sind mir bis heute noch unbegreiflich. Später habe ich folgenden Satz gefunden:
„…Den anderen auf die eigene Transparenz, auf sein eigenes Modell zu reduzieren, ist eine Form der Barbarei. Zu akzeptieren, dass man den Anderen nicht voll- ständig versteht, ist eine Form der Zivilisation…“ (Edouard Glissant)
Cristina Ohlmer, on the video performance „Opacity (Lines Beyond)„
„I remember: our history teacher said that the indigenous people of Mexico were clueless. Foreign colonialists had come to them in sailing ships across the sea. They would have received them like gods and they would have exchanged their gold for colored Venetian glass pearls. How stupid, like that, with no sense of the value of things, for example these primitive peoples…the teacher told… His arrogant words are still incomprehensible to me today. Later I found the following sentence:
„…To reduce the other to one’s own transparency, to one’s own model, is a form of barbarism. To accept that one does not fully understand the other is a form of civilization…“ (Edouard Glissant)