Ping Pong Fever (2001)

 Hinter der Oberfläche hermetischer Bilder

Cristina Ohlmers Licht- und Klanginstallation „Ping Pong Fever“ im Plenarsaal des Stuttgarter Landtags

Irgendwann haben auch Politiker Feierabend. Wenn alle Tagesordnungspunkte abgehakt und alle Debatten geführt sind, rollen die Dienstwagen vor die Tore des Hauses. Chauffeure halten Türen auf, verstauen Aktentaschen in Kofferräumen und steuern schließlich Limousinen in die Nacht. Zeit für die letzte Runde des Hausmeisters. Es wird still im Zentrum der Macht. Der Landtag wird zu einem Behördenbau wie andere auch.

Doch die verlassenen Tische und Stühle im Plenarsaal, die Mikrophone und Podeste und die drei Löwen des Landeswappens zeugen weiterhin von der eigentlichen Bestimmung dieser Architektur. In der stringenten Anordnung des Raums und seines Inventars sind die Strukturen gespeichert, nach denen in diesem Saal seit 40 Jahren verhandelt und entschieden wird. Das Herz der Landespolitik ist ein fensterloses panoptisches Halbrund, bis an die Decke mit hellem Holz ausgekleidet, in dessen Zentrum der Landtagspräsident und das Kabinett auf einem mächtigen Podest über dem Rednerpult herrschen. Ein ambivalenter Raum, der in seiner Abgeschlossenheit in diametralem Widerspruch steht zur transparenten Fassade des 1961 von Horst Linde fertiggestellten Gebäudes


Gerade dieser Widerspruch zeigt, wie kompliziert und paradox sich das Verhältnis von Politik und Öffentlichkeit gestaltet. Denn tatsächlich ist das räumliche Zentrum des parlamentarischen Diskurses – ganz gleich in welchem Landtags- oder Parlamentsgebäude – mit einem Tabu belegt. Der Sitzungssaal ist nicht zugänglich für diejenigen, die nicht gewählt sind, zu entscheiden, „was die Menschen bewegt“ (so die offizielle Beschreibung dessen, was im Stuttgarter Landtag verhandelt wird). Der Raum der parlamentarischen Politik ist ein Innenraum, der nach außen hin abgeschottet ist. Saaldiener überwachen den Zutritt, darauf bedacht, die Trennung von Plenum und Tribüne, von Akteuren und Zuschauern aufrecht zu erhalten. Kameras haben ihren Platz. Öffentlich ist der Raum allein im Sinne eines Theaterraums – als Bühne, die der Inszenierung der Politik dient. Diesen Raum auch noch zugänglich zu machen, hieße, die Bedingungen der Inszenierung von Politik, die hier ihren repräsentativen Ort hat, sichtbar und erfahrbar zu machen.

Nicht zufällig ist der Plenarsaal selbst am Tag der Offenen Tür oder dem alle vier Jahre im Landtag stattfindenden Kunstfest der Kunststiftung Baden-Württemberg verschlossen geblieben. Der Freiburger Künstlerin Cristina Ohlmer ist es in der 20-jährigen Geschichte dieser Veranstaltung im September 2001 erstmals gelungen, dieses Tabu aufzubrechen. Voraussetzung waren lange Gespräche mit den Hausherren. Dabei ging es um die Integrität und die Würde des Raums: um die Unverletzbarkeit der Wohnung der Politik. Eine zentrale Bedingung blieb: das Publikum darf den Raum nur über die Besuchertribüne betreten.

Für Ohlmers Licht- und Klangprojekt „Ping Pong Fever“, zum Kunstfest 2001 für den Stuttgarter Plenarsaal erarbeitet, war diese Bedingung kein Hindernis. Im Gegenteil. Die Unversehrtheit des Raums gehörte ebenso zu den Voraussetzungen ihrer künstlerischen Arbeit an „Ping Pong Fever“ wie die erzwungene Distanz der Zuschauer auf der Tribüne. Was Ohlmer interessierte, waren die strukturellen Voraussetzungen, unter denen Wortwechsel, Gespräch und Konflikt in diesem Raum zu Politik werden. In die räumlichen Gegebenheiten musste und wollte sie deshalb nicht eingreifen. Sie sind der Ordnung des Saals bereits eingeschrieben und bedurften nur der Entzifferung. Dazu ist die Perspektive, die die Zuschauer über den Abgeordnetenbänken einnehmen, ideal. Erst aus gemessener Distanz lässt sich jener Prozess des Für und Wider als ein System erkennen, das bestimmten Regeln folgt und das im Plenarsaal sein Spielfeld hat.


Ohlmers Spiel beginnt in der Finsternis. Nichts ist zu hören außer einem monotonen Schlagen, das wie aus einem benachbarten Raum durch die Wände zu dringen scheint und bald von sonorem Brummen und kleinteiligen Schleif- und Klappergeräuschen übertönt wird. Der Saal erwacht in dezenter Geschäftigkeit. Zwischen verschiedenen Tisch- und Stuhlreihen beginnen in unregelmäßigen Abständen rote, grüne und blaue Lichtstraßen zu glühen. Wie nächtlich erleuchtete Verkehrssysteme bahnen sie sich ihre Wege durch das Gelände und stecken nach und nach die räumlichen Grenzen ab, innerhalb derer sie zunächst monochrome Lichtpositionen behaupten, zunehmend aber in wechselnden Koalitionen leuchten. Immer wieder flackern zwischen ihnen kleine Lichthaufen, die auf einigen Tischen verteilt sind.

Die Lichtchoreografie folgt einer 13-minütigen Klangcollage. Ohlmer hat sie im Zeitloop zu einer endlosen Sounddebatte verschaltet, die von verschiedenen sich überlagernden Sender- und Empfängergeräuschen beherrscht wird: dem rhythmischen Tropfen von Ping-Pong-Bällen auf Tischtennisplatten, dem Sirren von Pfeilen, die durch den Raum schießen wie giftige Attacken auf ein feindliches Gegenüber. Die Lichter zeichnen diese Debatte simultan im Raum auf – als dreidimensionales, sich ständig änderndes Schaubild, das die Strukturen der parlamentarischen Politik als rhetorisches Strategiespiel beschreibt.


Es ist das System der Rede und Gegenrede, das Ohlmer in unendlichen Wiederholungen demonstriert und zugleich demontiert. Ohne das gesprochene Wort, durch Licht und Klang gelingt es der Künstlerin, die hermetische Architektur des Stuttgarter Plenarsaals für Assoziationen zu öffnen, die zurück verweisen: in jenen Alltag, in dem sich das, „was die Menschen bewegt“ dem Zugriff der Politik entzieht. Darin zeigt sich das Dilemma, in dem der parlamentarische Diskurs steckt. Obwohl er längst als ein selbstreferenzielles System in festen Strukturen funktioniert, muss er – um in der Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen zu werden – genau diese Redundanz ständig ausblenden und dem Publikum das Altbewährte als täglich Neues, als Spektakel vorstellen: Politik tritt so zunehmend als Effekt von Rhetorik und medialer Inszenierung auf.

Cristina Ohlmers Beitrag zum Kunstfest 2001 griff dort gleich in doppelter Weise ein. Einerseits zeigte „Ping Pong Fever“, dass das Spiel der Politik, des unablässigen Vorschlagens und Verwerfens, auch die Basis künstlerischen Forschens ist. Indem sie einen Licht- und Klangplan der Diskursstrategie entwarf, machte sie ihre Strukturen sichtbar, besetzte sie aber umgehend neu. Gegen die Inszenierungswünsche der Politik, gegen ihre Rhetorik, die zugleich Bestandteil und Verschlüsselung ihres starren Regelwerks ist, zeigt Ohlmer, dass diese Strukturen keinesfalls so starr zu sein brauchen, dass immer auch eine andere Form möglich ist, sich in ihnen zu bewegen.


„Ping Pong Fever“ ist der spannende Versuch, dem Raum hinter der Oberfläche des Politischen auf die Spur zu kommen, um so nicht nur die Regeln des Spiels zu entziffern, sondern zugleich den Rahmen, den sie vorgeben, für eine nachhaltige künstlerische Umdeutung und Erweiterung des Spielfelds zu nutzen. Ohlmers temporäre Installation verfolgte – wie zuvor schon ihre Glasobjekte „Zeichenbrut“ (1997) und „Acqua tonica“ (2000) – die Idee, Bilder als virtuelle Räume zu entwerfen, als Systeme räumlicher Bezüge, aus denen sich immer wieder neue Bilder herauslösen, die in unablässiger Bewegung untereinander und mit dem Betrachter in Beziehung treten.

Nach 40 Jahren parlamentarischer Nutzung haben Raum und Inventar, haben Tische und Stühle, Mikrophone und Podeste nun auch die Vorstellung vom unendlichen Bilderreservoir gespeichert, das sich zumeist hinter Oberflächen (auch des Politischen) verbirgt. Der Raum und die dort eingerichteten Dinge ließen sich freilich nichts anmerken, als am Morgen nach dem Kunstfest der Hausmeister seine Runde machte und den Saal für einen weiteren Tag der Tagespolitik aufschloss. Warum auch? Das Wissen von der Möglichkeit der Veränderung ist schließlich eine Frage des Gedächtnisses.

(Dietrich Roeschmann)

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