An der Bar oder: „Ein Aqua Tonica, bitte!“ (2001)

Cristina Ohlmer hat das Cité Stipendium gewonnen und stellt im Schwarzen Kloster aus

Gratulation, Cristina Ohlmer! Just hat die Freiburger Künstle­rin das Cité Stipendium des Landes Baden-Württemberg gewonnen: ein halbes Jahr wird sie in ein Pariser Atelier einziehen, das gerade ein anderer Freiburger Künstler bewohnt: Herbert Maier. Ohlmer hat sich die Flucht verdient – jahrelang hat sie ihr Freiburger Atelier zum Labor verwandelt, um akribisch die Perspektiven­verschiebungen, Grenzlinien und Auflösungserscheinungen der Kunst zu untersuchen, sie auf ihre Zeichen, Metaphern und Mythen abzuklopfen, sie zwischen Raum und Zeit zu de­chiffrieren und zu dekonstruieren, in eine neue Grenzenlosigkeit zu überführen: Worte, Bilder, Objekte. Peu à peu hat Ohlmer dabei ihre eigene My­thologie geschaffen: Ihre Ob­jekte sind in die Unendlichkeit führende Kunsträume. Die gi­gantischen Glas-Kasten-Instal­lationen, in denen sich der Blick um Ecken biegt, zu Durch-, Ein-, Aus- und Um­sichten verführt. Oder ihre ge­stapelten Glasscheiben, in de­nen die Genesis des Objektes in ständiger Mutation, in allge­genwärtiger Bewegung er­scheint. Eine Kunst, die An­fang und Ende längst aufgege­ben hat. Die Welten schafft, die von Schmetterlingen, Elfen und Krabbeltieren bevölkert werden – Platzhaltern für das Geheimnisvolle, das Uner­gründbare.

Nun stellt Cristina Ohlmer ihre neuesten Werke in der Städtischen Galerie im Schwar­zen Kloster aus. Auf den ersten Blick eine neue Cristina Ohlmer. Zu sehen: Werke, die in Berlin entstanden sind. Bar-Ambientes. Die Elfen-Königin zeigt Alltagsvampire in ihren Thekenlandschaften: Menschen, die aus Fenstern schauen, Men­schen, die durch Fenster be­schaut werden: Thekenhelden, Melancholiker und Barmänner. Eigentlich Pop-Art-Ambientes, die aber ihrer grellen, aufdring­lichen Insignien beraubt sind. Nicht bunt gemalt, sondern verschwindend inszeniert, als Glas auf Glas gezaubert. Ohlmer zeigt großformatige Scheiben, spielt dabei mit der Durchsichtigkeit, gibt konse­quent die herkömmliche Dimension des Bildes auf, um Raum zu schaffen: Das Bild beherbergt nicht nur das Ob­jekt auf ihm, sondern auch das Vor und Hinter dem Bild, das Wann und Wo des Lichtes. Die Motive, Menschen, Interieurs, Geschichten gar, bleiben Stati­sten, Fatamorganas, die er­scheinen und verschwinden. „Aqua Tonica“ nennt Ohlmer ihr Verfahren – ein Kunst-Cocktail, der schwindelig macht. Bodenlos. Haltlos. Besoffen. Und traumtrunken. So luftig leicht, so kristallgefroren die Bilder scheinen, so schwer ist der Arbeitsprozess: Die Motive werden als Glas aufs Glas ge­bracht und in einen hoch-erhitzten Industrieofen gescho­ben. Heraus kommt eine Leich­tigkeit, die sich, wie bei ande­ren Werken Ohlmers, nun ab­solut der Kitsch-Kritik ent­zieht, die das Objekt der Kunst, seine Mythologie zu verste­cken, ja zu verweigern scheint um sie auf anderer Dimension zu entblättern – in der Unendlichkeit des Raumes zwischen Betrachter und Bild. Woher Ohlmer kommt, ist im Nebenraum zu sehen: Hier hängen ihre doppelten und dreifachen Glas-Bilder: Auf unterschiedlichen Schichten, eng gedrängt, tummeln sich ihre noch schillernd bunten Zauberwesen – schon hier schleichen sich die Bar-Figu­ren auf neuen Dimensionen ein. Ohlmer scheint ihre eigene Mythologie entrümpelt zu ha­ben, ohne dabei ihre inhaltliche Besetzung über Bord geschmis­sen zu haben. Nach Freiburg und Berlin warten wir nun auf neue Welten – diesmal aus Pa­ris. Bon voyage!

(Axel Brüggemann, Kultur Joker, Freiburg, März 2001)

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