„Himmel und Hölle“:
Neue Arbeiten der Freiburgerin Cristina Ohlmer in der Galerie G.
Jeden Morgen das Gleiche. Aufstehen, Kaffeemaschine an, Blick aus dem Fenster. Manche Gewohnheiten können so gewöhnlich sein, dass man gar nicht mehr merkt, was man da tut – es sei denn, die Welt da draußen verweigert einem den Trott. Als Cristina Ohlmer zum Beispiel im vergangenen Sommer jeden Morgen neben der Kaffeemaschine stand und in die Ferne blickte, quälten sich vor ihrem Küchenfenster verdreckte Schiffe stromaufwärts durch den Huang Pu River und über Shanghais Finanzdistrikt Pudong ging die Sonne auf.
Mal in zart rosa, mal hinter grauen Wolken, mal von den knatternden Drachen der Alten begrüßt, die sich im Morgengrauen immer an der Flusspromenade treffen, weil das ihre Art ist, den Tag zu beginnen. Von Trott also keine Spur. Eher von Sucht: Ohlmer machte jeden Morgen ein Foto der Skyline auf der anderen Seite des Flusses, und war der Kaffee durchgelaufen, freute sie sich schon auf den nächsten Morgen und das nächste Foto. 88 Tage lang. So lange, wie ihr Aufenthalt als Artist-in-residence im Swatch Art Peace Hotel im Herzen Shanghais dauerte.
Zurück aus China, zeigt Ohlmer in der Freiburger Galerie G nun einige Arbeiten, die während dieser Zeit entstanden. Wie so oft bei ihr, sind sie von einem feinen Gespür für die Poesie alltäglichster Dinge und Materialien geprägt, die sie in sanften Verschiebungen zum Sprechen bringt. Als Bühne dient ihr hier eine lichte Installation aus Vitrinen und Glasbords. Darauf hat sie zahllose Exemplare des Faltspiels „Himmel und Hölle“ arrangiert, das in China – anders als im christlich geprägten Westen – territorialmachtbewusst nach den vier Himmelsrichtungen „Dong Xi Nan Bei“ benannt ist.
Bunte Papierstreifen, Makulatur aus einer Shanghaier Hinterhofdruckerei, falten sich daneben in einem Glastrog zu einer weichen Welle, über der wunderbar zarte Wolken die Wände hinauf schweben – eine stille Meditation über die Natur, zusammengesteckt aus feinen Plastikschlaufen, mit denen in chinesischen Discountern die Preisschilder an der Ware befestigt werden. Man könnte es als einen Akt der künstlerischen Zweckentfremdung beschreiben, mit dem Ohlmer hier auf subtile Weise Chinas uralte Tradition der meditativen, auf handgeschnitzten Sockeln präsentierten Gelehrtensteine für die Gegenwart einer globalisierten Welt wiederbelebt.
Das hypnotische Zentrum von Ohlmers Schau aber bildet die Digitalprojektion ihrer morgendlichen Skyline-Shootings. In stillem Rhythmus überblenden sich die Aufnahmen auf dem Screen, kein Ausschnitt gleicht dem anderen. Allein der Pearl Tower steht zentral im Bildraum. Taucht ein Foto auf, markieren dünne rote Linien sein Format, die sich nach und nach zu einem dichten Netz addieren und so über der Stadtlandschaft mit ihren wechselnden Licht- und Wetter-Stimmungen ein Bild der verstreichenden Zeit aufspannen. Stundenlang könnte man hier zusehen, auf angenehme Weise unentschieden, ob man es bei „Pearly Morning“ nun mit einem Erinnerungsspeicher zu tun hat oder doch eher mit einem Fernwehgenerator. Für Ohlmer gilt beides: In wenigen Wochen ist die Freiburgerin bereits wieder unterwegs nach Asien. Diesmal für ein Atelierstipendium in Taiwan.
- Galerie G, Reichsgrafenstr 10, Freiburg. Bis 24. Okt., Di bis Fr, 14-19 Uhr.
(Dieter Roeschmann, Bdische Zeitung, 10. Oktober2014)