Beyond Transparency (2018)

Installation mit 14 Hinterglasbildern, Dimensionen variabel

HINTER DEN BILDERN, Sonderausstellung Museum Neue Kunst Freiburg                              

mit BEYOND TRANSPARENCY – Hinterglasbild Installation: Scheiben aus Hinterlassenschaften und Eisenständer

(Ankauf des Museums 2018), Künstlergespräch Mai 2022

Hinter den Bildern

„Als Grenzgängerin zwischen unterschiedlichsten Medien und Kulturen und visualisiert auch diese meiner Arbeiten die „Dehnbarkeit der Zeit“ und deren Fragilität. In diesem thematischen Zusammenhang stehen ihre transluziden und transparenten Arbeiten vor allem mit dem Material Glas, mit dem sie seit 1998 arbeitet und seit 2011 besonders intensiv experimentiert. Sie interessiert sich für die zugleich trennenden und optisch verbindenden Eigenschaften von Glas, entwickelt ein Verfahren wie den Wasserguss und bezieht Lichtprojektionen als ein Element mit ein, das die Zeichnungen auf Glas in den Raum spiegelt und vervielfältigt. In „Beyond Transparency“ spielt genau diese Überführung ins Skulpturale und Räumliche eine besondere Rolle. Die mit Tusche, Nagellack, diversen Acryllacken, Pigmentfarben und Goldfarbe bearbeiteten Scheiben sind in einer Art transparentem Bilderdepot in Metallgestellen mit- und hintereinander geschichtet und in Bezug gesetzt. Alle Scheiben haben schon „andere“ Bilder gesehen, denn sie stammen aus Hinterlassenschaften wo sie als Fundstücke auf Dachböden und in Kellern oder als persönlicher Bilderrahmungen aus Pflegeheimen schon in jeweils anderen Funktionen als Schutz für Bilder oder Durchblicke ins Freie gedient haben. Für Ohlmer steht das Erfassen von Welt aus einer immer vorläufig gehaltenen Perspektive, die andere Kulturen, Bilderproduktionen und Seherfahrungen einbezieht, im Mittelpunkt.“

(Christine Litz, Museum Neue Kunst Freiburg)

Rezension (Saal Text Museum Neue Kunst Freiburg, Sonderausstellung HINTER DEN BILDERN):

Jedes Bild hat zwei Seiten: eine Vorder- und eine Rückseite. Da ist – anders als bei der Plastik – die eine, zumeist klar definierte Schauseite: das, was wir als Kunstwerk selbst bezeichnen, was präsentiert wird, wenn das Bild an der Wand hängt, was abgebildet wird in Katalogen, auf Plakaten oder Flsyern. Und dann ist da die Rückseite. Unzugänglich, unsichtbar. Die Rückseite, die eigentlich keine Bedeutung hat. Oder etwa doch?
Blicken wir auf die Rückseiten von Kunstwerken gibt es allerhand zu entdecken. Stempel aus dem Kunsthandel, Notizen zu Ausstellungen und Inschriften von Vorbesitzer:innen – aus den Spuren, die sich auf der Rückseite finden, sind zahlreiche Informationen abzulesen. Die Rückseite ist ein Dokument: Versteckte Informationen geben uns Auskunft über die Geschichte des jeweiligen Kunstwerks, die verwendeten Materialien und die Verspannungsart der Leinwand auf dem Keilrahmen lassen die Bedingungen des Schaffens und Sammelns von Kunst zu verschiedenen Zeiten sichtbar werden. Vier Gemälde und eine Graphik aus der musealen Sammlung zeigen exemplarisch, dass die Rückseiten darüber hinaus immer wieder von Künstler:innen bemalt, mitgedacht und kommentiert wurden. Sie erzählen jeweils Unterschiedliches und auch die Absicht der Künstler:innen für die doppelte Bearbeitung dürfte sehr unterschiedlich gewesen sein. Materialknappheit als erster zwar profanster zugleich überaus wichtiger Grund: Entweder der persönlichen ökonomisch schwierigen Lage geschuldet, wie es bei Hermann Scherer der Fall war, oder auch den äußeren Urständen, insbesondere der kriegsbedingten Materialknappheit, verantwortet. Die Rückseite dient daneben, mit Blick auf das Gemälde von Otto Dix, auch als Platz für eine grobe Skizze. Wenig ist bekannt über Vera Krafft, sodass über die rückseitige Bemalung nur Verrnutungen angestellt werden können. Vielleicht handelt es sich auch hier um eine Art Vorskizze, eine Farbübung. Eine etwas andere Form der Zusammengehörigkeit von Vorder- und Rückseite findet sich bei Priska von Martin: Ein Kommentar könnte das kleine collageartig hinzugefügte Pin-Up-Girl zum Aquarell-Akt sein. Eine kaum sichtbare, versteckte Anspielung auf die Situation der Frau in der Kunst? Versteckt ist auch das rückseitige Werk von Karl Hofer, das zur Entstehungszeit 1940 wohl als zu politisch brisant eingeschätzt wurde.
Die Freiburger Künstlerin Cristina Ohlmer macht in ihrer zeitgenössischen installativen Arbeit Beyond Transparency eben jene Durchdringung von Vorder- und Rückseite explizit zum Thema und eröffnet durch malerische Elemente der Hinterglasmalerei einen Bilderkosmos, der sich aus der Kunstgeschichte selbst zu schöpfen scheint.

Behind the pictures

Review (Museum Neue Kunst Freiburg, Museum Text for Special Exhibition HINTER DEN BILDERN):


Every painting has two sides: a front and a back. Unlike sculpture, there is one, for the most part, clearly defined front side, which we designate the artwork itself, which is displayed when the picture is hung on the wall, which is depicted in catalogues, on posters or flyers. And then there is the back. Inaccessible, invisible. The back, which is actually nugatory. Or is it?
There are indeed plenty of things to discover should we bother to look at the backs of artworks. Art trade stamps, notes on exhibitions and inscriptions from previous owners – a great deal of information can be gleaned from the miscellaneous traces on the backs of artworks. The back is a docurnent: concealed information teils us about the history of each work, whereas the materials used and the way the canvas has been stretched on the stretcher reveal the conditions under which art was made and collected in different periods. Four paintings and one drawing from the museum collection exemplify that the backs of the works were – over and above these traces – painted, used for sketches, even considered integrel to the work and commented on by artists time and time again. They each teil their own story; moreover, the artists‘ intentions for this dual treatment may also have been very different from case to case. Scarcity of materials as the initial, most banal yet si-multaneously crucial reason: either due to precarious personal circumstances, as was the case with Hermann Scherer, or also due to external circumstances, in particular the scarcity of materials caused by the war. The back of a painting can also be used as a place for a rough sketch, to which the painting by Otto Dix testifies. Little is known about Vera Krafft, so we can only conjecture about the painting on the back. Perhaps this is also a preliminary sketch of sorts, a colour exercise. Priska von Martin’s work evinces a somewhat different type of cohesion between the front and the back: the small pin-up girl added in the form of a collage to her watercolour life study could be read as a commentary. A barely visible, concealed allusion to the situation of women in art? The work on the back of Karl Hofer’s painting is likewise concealed, but for a different reason: painted in 1940, it was probably considered too politically explosive at the time.
In her contemporary installation Beyond Transparency, Freiburg artist Cristina Ohlmer explicitly makes this interpenetration of front and back the subject of her work and, using painterly elements of reverse glass painting, opens up visual worlds that seem to draw upon art history itself.

Nach oben scrollen